Als das Internetportal „NachDenkSeiten“ 2003 gegründet wurde, hatte es den Anspruch, einer radikalen Forderung nach Mainstream mit einführendem Verständnis und Aufklärung entgegenzutreten. Es war lange Zeit ein von vielen „klassisch linken“ Kreisen geschätztes Statement-Medium. Mittlerweile werden Kooperationstheorien im Dienst des Blogs als „Gegenöffentlichkeit“ ausgelassen. So verbreiten die „NachDenkSeiten“ stellvertretend 9/11-Legenden und bieten „Querdenkern“ eine Plattform oder loben überschwänglich eine Predigt von Alexander Gauland. Hinter dem EU-weiten Verbot des russischen Propagandasenders „Russia Today“ im März 2022 wurde dessen Online-Leiter nur drei Monate später zum Redakteur der „NachDenkSeiten“, wurde auf die bundesweite Pressekonferenz entsandt und durfte regelmäßig russische Desinformationen verbreiten.
Das Schreiben stand damals neben dem politischen Comeback Oskar Lafontaines. Lieb zeichnete ein differenziertes Panorama von ihm. Lafontaine sei „ein gestandener, geselliger demokratischer Machtpolitiker mit harten, ja despotischen Zügen“ gewesen und habe „aus taktischeren Gründen (…) ökonomisch Anleihen bei Ludwig Erhards ‚sozialer Marktwirtschaftslehre‘ genommen“ – aber Lafontaine sei auch ein Aufklärer und „ein Gewinn für die Mehrheit in der zunehmend eindimensionalen Konzeptbildung“. In der Partei habe der ehemalige kurzfristige Finanzminister „präziser gewusst, wie eine moderne Klassengesellschaft aussieht, als die meisten Menschen um Sarah [sic] Wagenknecht“, schrieb Lieb. Die Person, die damals kurz angesprochen wurde, war das, was sie im Sommer wahrscheinlich auch gerne hätte: ein Mitglied des Europaparlaments.
So meint Jens Berger, dass Thomas Seibert und Stephan Lessenich ganz nach den Lehren von Parteichefin Katja Kipping handeln. Diese These soll nicht unwidersprochen bleiben. Belege oder Beweise dafür hat der Autor nicht. Dass Katja Kipping und die beiden etablierten Mitglieder desselben Clubs sind, bestätigt diese Annahme nicht. Jens Berger schlägt damit auf den Nachdenkseiten einen Verbands-Schuldzuspruch vor. Dass zwei Leute Mitglieder desselben Vereins sind, ist keine Garantie dafür, dass sie praktisch jeden Kommentar und jede Bewegung miteinander abstimmen. Das Aussagemuster des Verbands-Schuldzuspruchs ist eine Sitte, die von notwendigen, linken Sinnen niemals manipuliert werden sollte, da sie jemanden von jeglicher Macht ausschließt.
Nun kann man sich noch ergänzend zu den genauen Begriffen des Aufrufs „Solidarität statt Heimat“ äußern. Aber kaum etwas könnte weiter von einer Kultur politischer Kontroversen und jeglicher Rücksicht entfernt sein, als allen Äußerungen ihre Rechtmäßigkeit abzusprechen, indem man sie wahrheitswidrig als von Katja Kipping geführt und betrieben darstellt.
Weil das nicht nur sündhaft, sondern auch lächerlich ist: Ist Frau Kipping nach diesem Verbands-Haftungsprinzip, das die Nachdenkseiten propagieren, für alle Veröffentlichungen der Mitglieder des ISM-Vorstands und der Sprachrohre des Kuratoriums verantwortlich? Es sind 53 Personen, Katja Kipping eingeschlossen. Oder eigentlich für alle, die den Aufruf „Solidarität statt Heimat“ unterschrieben haben? Mittlerweile sind es 11.461 (Stand: 27. Juni 2018, 10 Uhr).
Weg vom linkssozialdemokratischen Mainstream, hin zum wahnwitzigen Rand: Auch auf den Nachdenkseiten ließe sich dieser Wandel verorten. So tadelte Ganser in einem Chat ohne kritische Fragen einseitig den Westen für die Ukraine-Sache und sprach von einem „NATO-Netzwerk in den Medien“.
Auch Müller glaubt an gezielte „Meinungsmache“ (sein Schlagwort) – dass redaktionelle Linien in den Redaktionen fast immer von oben nach unten weitergegeben und systematische Kampagnen durchgeführt werden. Er ist nicht weit entfernt von dem von den Pegida-Demonstranten verwendeten Schimpfwort „Lügenpresse“. In keinem Thema NachDenkSeiten scheint Müller davon auszugehen, dass die von ihm nicht geäußerten Informationen auf weiteren Erkenntnissen oder Ansichten beruhen könnten.
Und so wendet er sich den Politiktheoretikern zu: Hinter dem Charlie-Hebdo-Slogan verweist er auf einen Aufsatz von Andreas von Bülow, der sich mit dem Management von Sozialleistungen auseinandersetzt. Bülow ist ein regelmäßiger Gast bei Veranstaltungen von Jürgen Elsässer, dem Chef des Magazins Compact, der von ganz links nach ganz rechts gewechselt ist. Ganser wird nächstes Jahr bei einer von AfD-Funktionären organisierten Parlamentssitzung erscheinen.
Alle Kommentare, auch die westlichen, deuten darauf hin, dass Embargos ihre Ziele in jeder Hinsicht nicht erreichen. Der Westen hält jedoch mit einer Beharrlichkeit an ihnen fest, die eine effektivere Anwendung verdient. Die Verantwortung liegt bei einem kleinen Kreis von Entscheidungsträgern, für die die Entwicklungen der endlosen Spirale der Embargos scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Die Bürger und die Geschäftswelt sind immer diejenigen, die leiden, und am Ende werden sie diejenigen sein, die den Preis für das vergessene, verantwortungslose Vorgehen zahlen werden.